Urban-Gardening ist Selbstversorgung und Begegnung gleichzeitig
In der bekannten Liedzeile: „Komm, pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein, und dann nichts wie ab zum Wannsee“, ist die Sehnsucht der Hauptstadtbewohner zur Natur, Erholung und frischen Luft treffend beschrieben. Doch während der Berliner früher „ins Grüne“ fuhr, sorgt er mittlerweile immer häufiger dafür, sich das Grüne direkt vors Fenster oder aufs Dach zu holen. Urban Gardening oder Guerilla-Gardening nennt sich der neue Trend, der in Berlin auf immer mehr Straßen, Plätzen und Hinterhöfen zu beobachten ist.
Frisches Gemüse am Wegesrand
Urban-Gardening gibt es bereits seit Jahren in vielen Metropolen der Welt. Teilweise aus der Not geboren, entwickelten Stadtbewohner in Russland oder Afrika das Bewirtschaften freier Flächen mitten in der Stadt, um sich mit notwendigen Lebensmitteln selbst zu versorgen. In den USA entstanden die ersten Dachgärten aus dem Bedürfnis heraus, sich sowohl ein Stück Natur in die Nähe zu holen, als auch gesundes Obst und Gemüse erntefrisch auf den Teller zu erhalten.
In Berlin entstanden die ersten Bepflanzungen rund um die einzelnen Straßenbäume, die für Berlin typisch sind. Anwohner säten und pflanzten Blumen auf den trockenen Böden, die rund um die Bäume sonst nur Hunde anlockten. Die ersten blühenden Inseln entstanden. Bewohner und Gäste freuten sich über die Blütenpracht und es war nur noch ein kleiner Schritt, die ersten Tomatenpflanzen zu setzen. Die kleinen, runden Erdinseln rund um die Bäume reichten jedoch nicht aus, um wirklich zu gärtnern und Nahrung anzubauen. So entdeckten die Einwohner ihre Innen- und Hinterhöfe, die bisher oft nichts Besseres gewesen waren als Mülltonnenstellplätze, neu. Schon bald entstanden richtige Beete, in denen Möhren und Kartoffeln wuchsen.
Gemeinschaft erleben
Das gemeinsame Bewirtschaften der Höfe führt zu neuen Kontakten zwischen den Bewohnern. Lebten die meisten Berliner in ihren großen Mietshäusern früher häufig anonym nebeneinander her, treffen sich viele Nachbarn jetzt bewusst und beratschlagen, was sie anpflanzen wollen. Sie sprechen sich ab, wer für das Bewässern zuständig ist oder wer am nächsten Tag Zeit hat, Unkraut zu jäten. Ist Erntezeit, verteilen sie die Früchte oder feiern gemeinsam ein Erntefest, um zu Kochen und zu Plaudern. Einige Hausgemeinschaften laden mittlerweile Flüchtlinge ein, in ihren Gärten mitzuhelfen. So entstehen neue multikulturelle Begegnungsorte inmitten der Berliner Bevölkerung.
Ein großes Potential an nutzbarer Fläche für das Urban-Gardening bieten auch die zahlreichen Dächer Berlins. Noch sind Dachgärten die Ausnahme, aber die Suche nach geeigneten Standorten läuft. Auch Brachflächen zwischen einzelnen Häusern werden immer häufiger in kleine Gemüsegärten umgewandelt, wie die Prinzessinnengärten in Berlin Kreuzberg. Sie entstandenen durch das Engagement von Nachbarn und Begeisterten. Hier werden jedes Jahr alle möglichen Arten von Nutzpflanzen angebaut. Mithilfe oder durch das Projekt entstanden seit 2009 auch zahlreiche Workshops, Initiativen und Forschungsgebiete, die sich mit dem Urban Gardening und einer gesunden, nachhaltigen Ernährung beschäftigen. Die Prinzessinnengärten gehören mittlerweile fest ins Bild von Kreuzberg und Berlin. Noch ist die Idee, sich auch in der Großstadt selbst mit Obst und Gemüse zu versorgen, eine Nische für Engagierte und Experimentierfreudige, welche in den letzten Jahren aber stetig wächst. Als Gegenentwurf zur extensiven, großflächigen, industriellen Landwirtschaft aber das Urban-Gardening in jedem Fall eine Alternative.