Wie hat Berlin sich doch in den letzten Jahren verändert! Ein Zeitreisender aus den frühen 90er Jahren würde sicherlich staunen, wenn er heute am Potsdamer Platz aussteigen würde. Dort, wo heute das Sony Center steht, war früher weit und breit nur eine Wüstenlandschaft zu sehen, die vom ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer zeugte. Ein Besucher aus der Zeit um 1900 schließlich würde seine alte Heimat wohl kaum wiedererkennen können. Zu groß sind die Spuren, die das 20. Jahrhundert an Berlin hinterlassen hat.
Heutige Stadtentwicklung Berlins ist spätes Erbe der deutschen Geschichte
Damit ist das Dilemma der deutschen Hauptstadt auch schon im Ansatz erklärt. Während andere europäische Großstädte seit dem 19. Jahrhundert weitestgehend statisch geblieben sind – Paris, London oder Rom haben sich lediglich in den Außenbezirken gewandelt, nicht aber in ihren charakteristischen Zentren – haben in Berlin die Zäsuren der vergangenen 100 Jahre immer wieder Umgestaltungen erzwungen und auf diese Weise das Stadtbild zu einer Synthese unterschiedlichster Stile gemacht. Um ihre „Welthauptstadt Germania“ zu schaffen, haben die Nazis hier rücksichtslosen Kahlschlag am historischen Stadtbild betrieben, fertig wurde am Ende davon kaum etwas. Der Bombenkrieg sorgte kurz darauf für eine weitere Ausdünnung der Bausubstanz.
Als wäre dies noch nicht schlimm genug gewesen, schlug die deutsche Teilung eine wüste Bresche mitten durch die Stadt, der ein weiterer Teil des historischen Berlins zum Opfer fiel. Im Osten schließlich gammelten die alten Gebäude munter vor sich hin, Reminiszenzen an den „bourgeoisen“ Lebensstil der wilhelminischen Eliten sollten über kurz oder lang zu Staub zerfallen und aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden. Stattdessen gab es Plattenbauten (aber die gab es auch im Westen!), sozialistischen Realismus und einen Fernsehturm, der heute mehr für Berlin steht als alles andere. Nach der Wende kam dann der Bau-Boom, nochmals angekurbelt durch die Rückkehr der Bundesregierung nach Berlin zur Jahrtausendwende. Bürokomplexe und Luxusappartements schossen wie Pilze aus dem Boden, die Stadt erlebte einen neuen Frühling.
Alteingesessene Bewohner sind vielerorts die Leidtragenden
Die aktuelle Stadtentwicklung in Berlin und die damit einhergehenden Probleme können daher generell als Spätfolgen der deutschen Teilung angesehen werden. Dies gilt nicht zuletzt für die Viertel im Osten, wie Friedrichshain oder Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten gab es hier günstigen Wohnraum in alten Mietskasernen, Kneipen an jeder Ecke und reihenweise heruntergekommene Patrizierhäuser aus einer anderen Epoche. Letztere waren besondere Stiefkinder der Regierung, erfreuten aber umso mehr die Hausbesetzer. Auch in der Nachwendezeit blieb der Charakter dieser Bezirke weitestgehend erhalten, hinzu kamen Szenetreffpunkte, ein unbeschwertes Nachtleben kehrte zwischen den maroden Fassaden ein.
Ein Tummelplatz für Studenten, Alternative und Träumer, daneben natürlich immer noch die Alteingesessenen, die einfach „schon immer“ hier wohnten. Ihre unmittelbare Nähe zum Stadtzentrum machen diese Bezirke heute aber auch interessant für wohlhabende Hinzugezogene und Investoren. Mit der steigenden Nachfrage steigen auch die Mieten. Das Wort „Gentrifizierung“ ist in aller Munde. Probleme sind da vorprogrammiert, wie unlängst wieder der Brennpunkt Rigaer Straße bewiesen hat.
Die Neuankömmlinge lassen sich in die alten Kieze zum Teil auch schwer integrieren. Wer nicht nach Berliner Mundart redet, der wird hier schnell scheel angesehen. Hier eine Lösung zu finden, die alle Beteiligten gleichermaßen zufrieden stellt, wird eine große Herausforderung für die Politik bleiben. Berlin als Magnet der deutschen Binnenmigration, auch dies ein Resultat der deutschen Teilung. Gut, West-Berlin erfreute sich bereits vor dem Mauerfall einer gewissen Beliebtheit. Nach Ost-Berlin verschlug es im Gegenteil kaum jemanden freiwillig, die meisten sehnten sich eher danach, von hier endlich mal verschwinden zu dürfen. Als Nebeneffekt der Gentrifizierung der östlichen Mitte werden heute junge und einkommensschwache Menschen zudem immer mehr in die Randbezirke der Großstadt gedrängt.
Alte Bausubstanz profitiert von der Entwicklung
Ein erfreulicher Trend in der aktuellen Stadtentwicklung ist dagegen die Pflege alter Bausubstanz. Historische Villen in Berlin liegen bei kaufkräftigen Neu-Berlinern voll im Trend. So manche Stadtvilla aus der Gründerzeit erstrahlt heute in neuem Glanz, nachdem sie jahrzehntelang ein Schattendasein fristen musste. Dies gilt besonders für den Osten. Vor allem freut die Interessenten hier, dass die Bauwerke, wenn auch der Putz bröckelt, noch Größtenteils im Originalzustand vorhanden sind. Im Osten waren schlicht kein Geld und Material vorhanden, um ausufernde bauliche Veränderungen vorzunehmen.
Natürlich musste der ein oder andere Hausbesetzer vor dem Besitzerwechsel ausziehen. Es handelt sich eben um zwei Seiten einer Medaille. Demgegenüber stehen aber die ungezählten Gebäude, die gerade im Osten weiter vor sich hingammeln. Hier ist Handlungsbedarf dringend geboten, bevor die Bausubstanz vollends verkommt und ein weiteres Stück des historischen Berlins unwiederbringlich in der Versenkung verschwindet.
Relikte der DDR werden aus dem Stadtbild getilgt
Eine weitere städtebauliche Frage ist der Umgang mit dem architektonischen Erbe der DDR. Wenn in einigen Jahren das neue Stadtschloss fertig gestellt ist, so wird es so sein, als hätte es nie einen „Palast der Republik“ gegeben. Ein aus der Vergangenheit kommender Wilhelm II. würde auf den ersten Blick vielleicht gar keinen Unterschied bemerken, ein Walter Ulbricht fassungslos in Ohnmacht fallen. Dass der Schlossneubau kein Wiedererstarken des preußischen Militarismus markiert, sondern lediglich dem Wunsch nach einem historisch akkuraten Stadtbild entspricht, das würde ihm gegen den Verstand gehen.
Gut, die Bauten der 60er und 70er Jahre galten damals als hochmodern. Allerdings waren sie eben auch nicht mehr, als eine architektonische Modeerscheinung. Heute empfindet man sie salopp gesagt als hässlich. Dennoch wäre es nicht ratsam, im Zuge einer „damnatio memoriae“ alles auszutilgen, was an den untergegangenen realsozialistischen Staat erinnern könnte. Er ist nun einmal ein Teil der deutschen Geschichte und sollte seinen Platz in der Erinnerung haben, mag sie nun negativ oder positiv sein, das ist hier nicht Gegenstand der Debatte. Kommenden Generationen könnte sonst das Verständnis der Vergangenheit unmöglich gemacht werden, wenn sie gar keinen greifbaren Bezug mehr vor Augen haben.
Angebot an bezahlbarem Wohnraum nimmt ab
Abseits dieser Frage ist noch immer die blanke Wohnungsnot ein ungelöstes Problem der Hauptstadt. Von Jahr zu Jahr zieht die Hauptstadt knapp 40.000 neue Bewohner an.
Für sie bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist die große Aufgabe der nächsten Jahre. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass heute ganz andere Ansprüche an den Wohnraum gestellt werden als früher. Mit einem Plattenbau möchte sich heute kaum noch jemand abspeisen lassen. Ebenso wenig wollen die Leute ihr Badezimmer im Treppenhaus aufsuchen müssen. Auch die Sanierung von Altbauten steht daher vor Herausforderungen.
Berlin bald nicht mehr wieder zu erkennen
Insgesamt kann festgehalten werden, dass das Stadtbild der deutschen Hauptstadt relativ eklektisch ist. Eine Vielzahl von Stilen und Formen unterschiedlichster Epochen existiert nebeneinander. Dies erklärt sich aus der deutschen Geschichte. Daneben besteht im Moment die Tendenz, dass das alte Stadtbild als Resultat der deutschen Teilung mehr und mehr verschwindet. Dies hat positive als auch negative Seiten. Der Sanierung von Altbauten steht der Verlust des nostalgischen, aber eben auch des abgewohnten Stadtbildes der Nachwendezeit gegenüber, welches prägend für die Jugendzeit einer ganzen Generation war. So schmerzlich dieser Wandel auch ist, er ist nicht aufzuhalten. Eine wichtige Aufgabe der Politik wäre es aber, ihn für alle erträglich zu gestalten.